
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in drei Verfahren – Rechtssachen II R 25/24, II R 31/24 und II R 3/25 – aufgrund mündlicher Verhandlung am 12.11.2025 entschieden, dass er die Vorschriften des Ertragswertverfahrens, die nach dem sogenannten "
Bundesmodell" in elf Ländern für die Bewertung von Wohnungseigentum als Grundlage für die Berechnung der Grundsteuer ab dem 01.01.2025 herangezogen werden, für
verfassungskonform hält. In weiteren Urteilen zur Grundsteuer hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg zudem entschieden, dass das Finanzamt unter Umständen die Kosten eines
Verkehrswertgutachtens tragen muss und dass es für eine
Aussetzung der Vollziehung nicht ausreicht, als Steuerzahler lediglich zu erklären, das Landesgrundsteuergesetz sei verfassungswidrig.
BFH-Urteil: Sachverhalte
Geklagt hatten
Wohnungseigentümer aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Berlin. Die Kläger in dem Verfahren II R 25/24 sind Miteigentümer einer 54 qm umfassenden vermieteten Eigentumswohnung. Die Wohnung befindet sich in guter Wohnlage in Köln, im Souterrain eines vor 1949 errichteten Mehrfamilienhauses. Der Klägerin des Verfahrens II R 31/24 gehört eine im Jahr 1995 erbaute, selbst genutzte Wohnung mit 70 qm Wohnfläche in einer sächsischen Gemeinde. Der Kläger in dem Verfahren II R 3/25 ist Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit 58 qm in einem vor 1949 erbauten Mehrfamilienhaus in einer einfachen Wohngegend in Berlin.
Das jeweilige Finanzamt (FA) hatte in allen drei Fällen den jeweiligen
Grundsteuerwert zum Stichtag 01.01.2022
auf Basis des Ertragswertverfahrens (vgl. § 249 Abs. 1 Nr. 4, 250 Abs. 2 Nr. 4, §§ 252 Satz 1 des Bewertungsgesetzes – BewG) berechnet. Der festgestellte Grundsteuerwert wurde dann der Festsetzung der Grundsteuer ab 01.01.2025 durch die jeweilige Kommune zugrunde gelegt. Nachdem die nach erfolglosem
Einspruchsverfahren gegen die Berechnung des Grundsteuerwerts angerufenen Finanzgerichte (FG) jeweils die Klagen als unbegründet
zurückgewiesen hatten, weil die Gerichte entgegen der Auffassung der Kläger die einschlägigen Bewertungsregeln für verfassungskonform und die Berechnungen der Grundsteuerwerte durch die Finanzverwaltung für zutreffend hielten, machten die Kläger in den
Revisionsverfahren vor dem BFH erneut jeweils umfangreiche Verstöße gegen das Grundgesetz (GG) geltend.
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Der BFH bestätigte inhaltlich die Auffassungen der Vorinstanzen und versagte den Revisionen in der Sache den Erfolg. Er ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der in den Streitfällen anzuwendenden Regelungen überzeugt; eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt für den BFH daher
nicht in Betracht.
Formelle Verfassungsmäßigkeit
Das Grundsteuerreformgesetz (GrStRefG) ist nach Darstellung des BFH formell verfassungsgemäß. Insbesondere stand dem Bund nach Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gegenüber den zuständigen Bundesländern zu. Diese Kompetenz wurde durch das Gesetz zur
Änderung des GG vom 15.11.2019 mit Wirkung zum 21.11.2019 und damit noch vor Inkrafttreten des GrStRefG vom 26.11.2019 eingefügt. Selbst wenn der Gesetzgeber bei Erlass des GrStRefG die ihm durch Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten nicht vollständig ausgeübt haben sollte, lässt dies seine Gesetzgebungskompetenz nach dieser Vorschrift nicht entfallen.
Materielle Verfassungsmäßigkeit
Der BFH ist nicht davon überzeugt, dass die Vorschriften des Ertragswertverfahrens gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. Das BVerfG hat wiederholt entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 GG eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage einer Steuer für alle Steuerpflichtigen verlangt. Die Bemessungsgrundlage muss so gewählt und ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abbildet. Der
Gesetzgeber darf bei der Ausgestaltung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Er darf sich grundsätzlich
am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.
Gemessen an diesen Vorgaben hält der BFH die Ausgestaltung des Ertragswertverfahrens für verfassungskonform. Der Gesetzgeber hat ein Bewertungssystem geschaffen, das konzeptionell einer
Verkehrswertorientierung folgt und darauf angelegt ist, im Durchschnitt aller zu bewertenden Objekte den "
objektiviert-realen Grundstückswert" innerhalb eines Korridors des gemeinen Werts annäherungsweise zutreffend zu erfassen.
Bewertungsvorschriften
Die vom Gesetzgeber gewählten Bewertungsvorschriften sind grundsätzlich geeignet, den mit der Steuer verfolgten
Belastungsgrund in der Relation realitätsgerecht abzubilden. Belastungsgrund für die neue Grundsteuer ist nach dem Willen des Gesetzgebers das Innehaben von Grundbesitz und die dadurch vermittelte Möglichkeit einer
ertragbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und dem Steuerpflichtigen eine entsprechende objektive Leistungsfähigkeit vermittelt.
Nach Auffassung des BFH hat daher der Gesetzgeber hinsichtlich des Ertragswertverfahrens seinen Spielraum bei der Abwägung der mit dem Bewertungskonzept verfolgten Ziele mit den damit notwendig verbundenen Ungleichheiten nicht überschritten. Insbesondere durfte der Gesetzgeber dem durch das BVerfG vorgegebenen Ziel, einen erneuten "
Bewertungsstau" zu
vermeiden, indem die künftigen periodischen
Fortschreibungen automatisiert durchgeführt werden, eine hohe Bedeutung beimessen.
FG Baden-Württemberg: Wer trägt die Kosten eines Verkehrswertgutachtens?
Der 8. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg hat die Kosten des Verfahrens nach einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache dem beklagten Finanzamt auferlegt (Beschluss vom 16.10.2025, Az. 8 K 626/24). Im Streitfall hat sich das Klageverfahren erledigt, weil der Kläger während des gerichtlichen Verfahrens ein
Verkehrswertgutachten des zuständigen Gutachterausschusses vorgelegt und das Finanzamt den Grundsteuerwertbescheid zugunsten des Klägers geändert hatte. Streitig blieb, wer die
Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Der Kläger ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks. Ein großer Teil des Grundstücks ist baurechtlich als private
Grünfläche ausgewiesen und
darf nicht bebaut werden. Das Finanzamt hatte jedoch zunächst die gesamte Fläche des Grundstücks mit dem Bodenrichtwert der maßgeblichen
Bodenrichtwertzone multipliziert.
Erst während des Klageverfahrens beauftragte der Kläger den
Gutachterausschuss mit der Erstellung eines Verkehrswertgutachtens. Das Gutachten ergab allein aufgrund der Neubewertung der nicht bebaubaren privaten Grünfläche einen
um 41 Prozent geringeren Verkehrswert des Grund und Bodens und führte zu einer Änderung des Grundsteuerwertbescheids zugunsten des Klägers. Der Kläger und das Finanzamt erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Der 8. Senat hatte zu entscheiden, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Er beschloss, dass das
Finanzamt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Sachverständigenkosten
zu tragen habe. Die Bewertung des Finanzamts habe wegen der eingeschränkten Bebaubarkeit des Grund und Bodens zu einer
erheblichen Überbewertung geführt. Diese sei für das Finanzamt auch ohne das Gutachten offenkundig gewesen.
Der Kläger habe nunmehr jährlich 606,63 € weniger Grundsteuer zu bezahlen. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass das
Gutachten 1.514,28 € gekostet habe. Müsste ein Steuerpflichtiger stets die Kosten eines Gutachtens tragen, könnte dies dazu führen, ihn davon abzuhalten, von seinem Recht auf einen Nachweis eines geringeren Wertes Gebrauch zu machen. Dies sei mit Art. 3 Abs. 1
Grundgesetz und dem verfassungsrechtlich garantierten
Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar. Der 8. Senat hat darauf hingewiesen, dass andere Gutachterausschüsse vereinfachte und wesentlich kostengünstigere Gutachten erstellen und zudem differenziertere Bodenrichtwerte ausweisen, die zu genaueren Bewertungsergebnissen führen und daher Verkehrswertgutachten nicht erforderlich seien.
FG Baden-Württemberg: Ohne Mitwirkung kein Erfolg
Der 2. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg hat mit Beschlüssen vom 23.07.2025 (Az. 2 V 442/25) und vom 18.07.2025 (Az. 2 V 440/25) eine
Aussetzung der Vollziehung der Bescheide wegen Grundsteuerwert und wegen Grundsteuermessbetrag abgelehnt. Es reiche für eine Aussetzung der Vollziehung nicht aus, lediglich mitzuteilen, das Landesgrundsteuergesetz sei verfassungswidrig. Erforderlich sei zudem die
Darlegung eines besonderen
Aussetzungsinteresses. Ein solches haben die Antragsteller nicht dargelegt. Im Verfahren 2 V 442/25 wurde jedoch während des gerichtlichen Verfahrens der Grundsteuermessbetrag gemindert.
In beiden Verfahren hatten die Eigentümer von Grundstücken keine Steuererklärungen beim zuständigen Finanzamt eingereicht. Das jeweils zuständige Finanzamt stellte den Grundsteuerwert und den
Grundsteuermessbetrag von Amts wegen fest. Die Steuerpflichtigen legten Einspruch ein. Das Finanzamt lehnte die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ab. Die Steuerpflichtigen stellten bei Gericht Anträge auf Aussetzung der Vollziehung.
Im Verfahren mit dem Az. 2 V 442/25 reagierte die Antragstellerin und Eigentümerin zweier Grundstücke auf Fragen des Gerichts. Sie teilte mit, dass die Grundstücke überwiegend zu Wohnzwecken genutzt werden. Diese Mitteilung wurde als Antrag auf eine Steuerermäßigung ausgelegt und führte dazu, dass das Finanzamt die Bescheide wegen
Grundsteuermessbetrag zugunsten der Steuerpflichtigen im Ergebnis
um 30 % gemindert hat. Der Rechtsstreit erledigte sich in diesem Verfahren dadurch nicht. Die Antragstellerin äußerte weiterhin verfassungsrechtliche Zweifel.
In beiden Verfahren entschied der 2. Senat, dass die Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen haben.
Hintergrund
Ist ein
Grundstück bebaut, können Steuerpflichtige in der Steuererklärung eine
Ermäßigung beantragen. Dann wird im Bescheid wegen Grundsteuermessbetrag die Messzahl mit 0,91 von 1000 anstatt mit 1,3 von 1000 angesetzt. Dies führt grundsätzlich zu einem um 30 % geringeren Grundsteuermessbetrag. Solch ein Antrag kann auch noch im gerichtlichen Verfahren gestellt werden und zu einer Minderung der Grundsteuerlast führen. Häufig erledigt sich dadurch das gerichtliche Verfahren. Die
Steuerpflichtigen haben jedoch in diesen Fällen
grundsätzlich die Kosten des Verfahrens zu tragen. Denn auch bei einem (Teil-)Erfolg können einem Steuerpflichtigen Kosten auferlegt werden, wenn die Änderung zu seinen Gunsten auf Tatsachen beruht, die früher geltend gemacht hätten werden können und sollen (§ 137 Finanzgerichtsordnung).
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Erstellt von (Name) S.P. am 18.12.2025
Geändert: 18.12.2025 16:39:05
Autor:
S. P.
Quelle:
Bundesfinanzhof, Finanzgericht Baden-Württemberg
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Tobs Lindner
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