![Wie das Maßgeblichkeitsprinzip wirkt und wann es durchbrochen wird]()
Wenn der Staat Unternehmen besteuern möchte, braucht er eine
Bemessungsgrundlage für die Höhe der Steuern. Mit dem Maßgeblichkeitsprinzip verweist das Steuerrecht auf die
Bilanzierung nach dem Handelsrecht, die als maßgeblich für die steuerliche Bemessungsgrundlage angesehen wird.
Allerdings gibt es zunehmend
steuerrechtliche Vorschriften, die vom Handelsrecht
abweichen, sodass die Maßgeblichkeit immer wieder durchbrochen wird. Die Folge ist dann, dass die Handelsbilanz und die Steuerbilanz unterschiedlich ausfallen.
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Verbindung von Handels- und Steuerbilanz
Über das
Maßgeblichkeitsprinzip ist die Bilanz, die das Finanzamt von Unternehmen verlangt, mit dem Handelsrecht verbunden. Hinsichtlich der gesetzlichen Verankerung des Prinzips wird oft nur auf § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG (Einkommensteuergesetz) verwiesen.
Darin wird zum einen bestimmt, dass die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für alle gilt, die Bücher führen und
regelmäßige Abschlüsse machen, ob sie gesetzlich dazu verpflichtet sind oder ob sie es freiwillig tun. Zum anderen bezieht sich dieser Satz auf die "handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung", die damit auch für die Steuerbilanz gelten. Die Erläuterung der Bedeutung des
letzten Halbsatzes von § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt am Ende des Abschnitts.
Doch auch in der
Abgabenordnung (AO) wird auf die Handelsbilanz verwiesen: "Wer nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, hat die Verpflichtungen, die ihm nach den anderen Gesetzen obliegen, auch für die Besteuerung zu erfüllen" (§ 140 AO).
Gewinn von mehr als 80.000 €. § 238 Abs. 1 Satz 1 HGB (Handelsgesetzbuch) legt die Buchführungspflicht lediglich für Kaufleute fest. Nicht der Buchführungspflicht und damit dem Maßgeblichkeitsprinzip unterliegen Gewerbetreibende, die nicht ins Handelsregister eingetragen sind (Nichtkaufleute) und deren Umsätze und Gewinne unter den in § 141 Abs. 1 AO genannten Schwellenwerten liegen.
Auch Angehörige freier Berufe, wie Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten, unterliegen nicht der Buchführungspflicht. Sie können ihren Gewinn nach der Einnahmenüberschussrechnung (EÜR) nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln.
Der 2. Halbsatz von § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG lautet: „… es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt“. Damit wird die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz entscheidend eingeschränkt.
Dieser Halbsatz ist durch das
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), das am 29.05.2009 in Kraft getreten ist, in das Gesetz gelangt. Deshalb folgt nun ein kurzer historischer Rückblick
Kurzer Blick in die Entwicklungsgeschichte
Bereits 1891 bestimmte das preußische Einkommenssteuergesetz, dass der Reingewinn "mit dieser Maßgabe nach den Grundsätzen zu berechnen ist, wie solche für die Inventur und Bilanz durch das Handelsgesetzbuch vorgeschrieben sind" (Pellens/Busse von Colbe, Lexikon des Rechnungswesens, 1998, S. 498). Daran hielten die deutschen Gesetze in der Folge grundsätzlich fest.
Allerdings gibt es im Handels- und im Steuerrecht unterschiedliche Grundmotivationen: Das HGB versucht zu verhindern, dass Unternehmen ihr Vermögen zu hoch beziffern; das schlägt sich beispielweise im Niederstwertprinzip nach § 253 HGB nieder.
Die Fiskalpolitik des Staates wiederum möchte möglich hohe Steuereinnahmen erzielen. So schrieb die damalige Bundesregierung 1968 im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes: "Was zu bewerten ist, d. h., ob ein bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut vorhanden ist, bestimmen die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung; wie ein bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut zu bewerten ist, entscheidet sich nach Steuerrecht." (BT-Drs. 5/3187 vom 26.07.1968).
Dennoch gelang es vielen, vor allem kleineren Unternehmen, identische Handels- und Steuerbilanzen (Einheitsbilanzen) aufzustellen. Oftmals kehrten sie dazu die Maßgeblichkeit um: Sie orientierten sich an den steuerrechtlichen Vorschriften und nutzen Bilanzierungswahlrechte im Handelsrecht so, dass sie der Steuerbilanz entsprechen.
Nach Angaben von Tanski wird dies in der Praxis auch heute oft noch gemacht, was darauf beruhe, "dass der Buchführungspflichtige handelsrechtlichen Buchführungsregeln unterliegt, die weniger streng als die steuerrechtlichen Regeln sind" (Tanski, Jahresabschluss, 2024, S. 27).
Mit dem BilMoG von 2009 kam dann der oben erwähnte 2. Halbsatz in den § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Seitdem ist die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz den steuerrechtlichen Vorgaben untergeordnet
Durchbrechung der Maßgeblichkeit
Dies führt durch die zunehmenden Einzelfallregelungen des Steuerrechts immer öfter zu einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit. Durch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können folgende Regeln festgehalten werden:
-
Handelsrechtliche Aktivierungsgebote und -verbote sowie Passivierungsgebote und -verbote gelten auch für die Steuerbilanz.
- Besteht handelsrechtlich ein Aktivierungswahlrecht, so wird dies steuerrechtlich zu einer Aktivierungspflicht.
- Ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht führt wiederum zu einem steuerrechtlichen Passivierungsverbot.
- Alle diese Regeln gelten jedoch nur, wenn es keine abweichenden steuerrechtlichen Regelungen gibt.
Solche Abweichungen gibt es in großer Zahl, sodass hier nur einige beispielhaft auf einige eingegangen werden kann. So ist nach § 253 Abs. 2 und 3 HGB ein derivater (erworbener) Geschäfts- oder Firmenwert über den voraussichtlichen Nutzungszeitraum abzuschreiben; wenn dieser Zeitraum nicht seriös geschätzt werden kann, gilt eine lineare Abschreibung über zehn Jahre. § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG bestimmt hingegen, dass ein entgeltlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert auf 15 Jahre abzuschreiben ist.
§ 5 Abs. 2 bis 7 EStG enthalten einige solcher Vorschriften. So sind immaterielle Vermögenswerte nur dann anzusetzen, wenn sie gekauft worden sind (Abs. 2). Rückstellungen wegen der Verletzung fremder Patent-, Urheber- oder ähnlicher Schutzrechte dürfen erst gebildet werden, wenn der Inhaber diese Ansprüche geltend macht oder sehr wahrscheinlich damit zu rechnen ist (Abs. 3 Satz 1). Abs. 4a Satz 1 besagt: "Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften dürfen nicht gebildet werden."
Weitere Beispiele für Steuervorschriften, die von den HGB-Vorschriften abweichen, sind:
-
Bestimmte Betriebsausgaben, etwa zur Bewirtung von Geschäftsfreunden, können nach § 4 Abs. 5 EStG nicht oder nur eingeschränkt steuerlich geltend gemacht werden.
- Die Regelung in § 6, Abs. 1, Nr. 2 EStG läuft darauf hinaus, dass es im Steuerrecht kein Niederstwertprinzip für Vermögenswerte des Umlaufvermögens gibt.
- Andererseits können in bestimmten Fällen nach § 6b EStG steuerfreie Rücklagen gebildet werden.
- Nach § 7b EStG und § 7g EStG sind unter bestimmten Bedingungen Sonderabschreibungen möglich.
Beispiel zur Anwendung des Maßgeblichkeitsprinzips
Die Velogrosso GmbH stellt Lastenräder her. Das Unternehmen kauft eine neue Produktionsmaschine für 50.000 €. Der Buchhalter aktiviert die Maschine in der Handelsbilanz im Sachanlagenvermögen (§ 246 Abs. 1 Satz 1 HGB). Da es dafür keine abweichende Steuervorschrift gibt, gilt das Maßgeblichkeitsprinzip: Auch in der Steuerbilanz kann der Buchhalter die Maschine im Anlagenvermögen aktivieren.
Angeschafft hat die Velogrosso GmbH im abgelaufenen Geschäftsjahr auch Metallrohre als Rohlinge für die Lastenradproduktion im Wert von 20.000 €. Im Dezember erfährt der Geschäftsführer eine Mitteilung des Metallrohrherstellers, dass dieser die Produktion der Rohre eingestellt hat und dass die Rohre im Abverkauf nur noch die Hälfte kosten.
Der Geschäftsführer ärgert sich, dass er sich um einen neuen Lieferanten kümmern muss und macht noch einen Last Order Call über 10.000 €, mit der er dieselbe Menge Rohre erwirbt, für die er zuvor 20.000 € gezahlt hat.
Für den Buchhalter bedeutet dies außerdem, dass Handels- und Steuerbilanz auseinanderfallen: Nachdem der Marktwert der Rohre zum Bilanzstichtag nur noch 10.000 € beträgt, gilt das Niederstwertprinzip für Umlaufvermögen (§ 253 Abs. 4 HGB). Statt der bezahlten 30.000 € kann er in der Handelsbilanz nur 20.000 € – den aktuellen Marktwert – ansetzen. In der Steuerbilanz beträgt der Wert der Rohre hingegen 30.000 €, weil sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG mit den Anschaffungskosten angesetzt werden.
Der angestellte IT-Spezialist der Velogrosso GmbH hat im Laufe des Jahres ein kleines Softwareprogramm geschrieben, das die Steuerung einiger Produktionsmaschinen vereinfacht und die Maschinen untereinander koordiniert. Der Geschäftsführer beziffert den Wert des Softwareprogramms wegen der Arbeitsstunden, die der IT-Spezialist hineingesteckt hat, auf 15.000 €.
Wieder stellt der Buchhalter fest, dass die Herstellungskosten handels- und steuerrechtlich unterschiedlich behandelt werden, zumindest, wenn er das Wahlrecht für selbstgeschaffene immaterielle Güter (die Software) in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB nutzt, um die Entwicklungskosten in der Handelsbilanz zu aktivieren.
Nach § 5 Abs. 2 EStG ist eine solche Aktivierung ausdrücklich verboten. Im Fall der Rohrrohlinge ist der Ansatz in der Handelsbilanz also 10.000 € niedriger als in der Steuerbilanz, im Hinblick auf die Software ist der Ansatz hingegen 15.000 € höher als in der Steuerbilanz.
Auch wenn bisher durchgehend von einer (eigenständigen) Steuerbilanz die Rede war, so kennt die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) auch eine andere Möglichkeit: „Enthält die Bilanz Ansätze oder Beträge, die den steuerlichen Vorschriften nicht entsprechen, so sind diese Ansätze oder Beträge durch Zusätze oder Anmerkungen den steuerlichen Vorschriften anzupassen“ (§ 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV).
letzte Änderung S.P. am 14.02.2025
Autor(en):
Stefan Parsch
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Autor:in
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Herr Stefan Parsch
Stefan Parsch ist freier Journalist und Lektor. Er schreibt Fachartikel für die Portale von reimus.NET und Artikel über wissenschaftliche Themen für die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Für den Verein Deutscher Ingenieure lektoriert er technische Richtlinien. Mehr als zwölf Jahre lang war er Pressesprecher der Technischen Hochschule Brandenburg.
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